Wenn ein Wirtschaftsminister das Steuer aus der Hand gibt …

1. NanoMikro-Forum führt Hightech-Forschung und Anwendungen der Zukunft auf einer Plattform zusammen

Gut, hinterm Rednerpult steht noch jemand. Aber hinterm Lenkrad vom Auto könnte es bald anders aussehen. „Nun haben wir als Autofahrer hundert Jahre gedacht, wir fahren am besten selbst und jetzt kommen Ingenieure daher und sagen: Nein, demnächst fährst Du nicht mehr selbst, du bist ein Risiko!“ Mit diesem Imperativ rüttelte Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Hartmut Möllring gleich zum Auftakt des 1. NanoMikro-Forums Sachsen-Anhalt die vielen geladenen Gäste aus Industrie und Wirtschaft in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina wach. Das Auto der Zukunft fährt allein und ist vernetzt. Im Straßenverkehr kommunizieren die Autos künftig miteinander, Schwarmintelligenz nennt man so etwas.

Die eigentliche Sensation, eine Live-Vorführung zum autonomen Fahren, zum völlig automatisierten Lenken mit einem Audi-Versuchsfahrzeug, sollte später noch folgen. Aber zunächst hatte Hartmut Möllring das Wort. Der Wissenschaftsminister, der die Schirmherrschaft über das Netzwerk NanoMikro Sachsen-Anhalt übernommen hat, fuhr in seiner unterhaltsamen Art fort. 1970 habe er den Führerschein gemacht und gesagt: „Ich werde nie ein Automatikauto fahren. Man hätte sich ja in Grund und Boden geschämt“, so der 63-Jährige, der heute begeistert ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe fährt. Letztlich sei es die Einsicht, dass man Fortschritt nicht aufhalten könne, schon gar nicht die Skeptiker.

NanoMikro-Forum geht auf Initiative des gleichnamigen Netzwerks zurück

Die zweitägige Premiere des 1. NanoMikro-Forums, die vom 18. - 19. November in der Saalestadt  stattfand, geht auf eine Initiative einer bereits 2013 initiierten NanoMikro-Regionalgeschäftsstelle zurück. Das Gründungsprotokoll unterzeichneten damals die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. mit ihrem Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM Halle und der science2public e.V. Mittlerweile gehören dem Verbund ca. 20 Unternehmen aus dem Technologiebereich sowie zahlreiche Wissenschaftseinrichtungen aus der Region an. Gemeinsames Ziel ist es, den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft weiter anzukurbeln.

Die hohe Expertise in den Mikro- und Nanotechnologien, die durch langjährige Grundlagen- wie anwendungsorientierte Forschung in Sachsen-Anhalt  vorhanden ist, soll noch effizienter in die kleinen und mittleren Unternehmen getragen werden. Und das nicht erst, wenn es gilt, Lösungen für Probleme zu finden. Vielmehr geht es darum, mithilfe des gemeinsamen Knowhows innovative Produkte zu erschaffen, die die Region vorantreiben, einmalig und konkurrenzlos sind. Geschwindigkeit spielt dabei eine zunehmend wichtigere Rolle. Unternehmen, die am schnellsten auf den „Technologietransfer-Express“ aufspringen, also angesammeltes Wissen aus dem Bereich der Schlüsseltechnologien für sich nutzen können, sind gegenüber Mitbewerbern deutlich im Vorteil. Das ist kein Geheimnis. Dem Technologietransfer kommt gerade für den Wirtschaftsstandort besondere Bedeutung zu. Sachsen-Anhalt, das eher durch eine kleinteilige Wirtschaft geprägt ist, braucht eine auf Innovationen ausgerichtete NanoMikro-Branche, die zum Wachstumstreiber für Mitteldeutschland wird. Genau aus diesem Grunde  werden die Mikro- und Nanotechnologien in der Regionalen Innovationsstrategie Sachsen-Anhalt 2014-2020 als für die zukünftige Entwicklung bedeutsame Querschnittsbereiche aufgeführt.

Hochkarätige Gäste aus Wirtschaft und Wissenschaft kommen zur Premiere in die Leopoldina

Wie glückt ein solcher Technologietransfer? Um ihn in Gang zu bringen, gibt es viele Rezepte. Erfolgsgarant Nummer eins ist immer noch der persönliche Kontakt. Wo könnte das Kennenlernen, Netzwerken, Fachsimpeln, Diskutieren besser funktionieren, als auf einem Forum, das dank der überregionalen Strahlkraft der Leopoldina nun auch noch deutschlandweit Akteure anzuziehen vermag? Das könne gelingen, wenn man die richtigen Themen setzt und mit einem exklusiven Tagungs-Programm die Öffentlichkeit anspricht, sagt Prof. Dr. Matthias Petzold. „Wenn wir unsere Netzwerke aktivieren und die Leopoldina uns dabei den Rücken stärkt, wird so ein Forum zum weit sichtbaren Event.  Und das soll es auch. Wir möchten über den Tellerrand schauen, mehr und mehr auch überregionale industrielle Akteure einbinden und diese entstandenen oder sich anbahnenden Kooperationen gegenüber der Öffentlichkeit, den Medien und der Landespolitik auf solch einer Veranstaltung sichtbar machen“ betont der stellvertretende Institutsleiter des Fraunhofer IWM.

Kein Alltagstermin in der Nationalen Akademie Leopoldina! Wissenschaftsminister Hartmut Möllring (links) und Leopoldina-Präsident Prof. Dr. Jörg Hacker gehen das Tages-Programm zum 1. NanoMikro-Forum durch. Foto: Trendblende

Der Plan ging auf. Am ersten Veranstaltungstag, der unter dem Schwerpunkt „Die Mobilität von morgen auf dem Weg zur Anwendung – wohin fährt das autonome Auto“ lief,  füllten hochkarätige Gäste den Vortragssaal der Leopoldina. Darunter zahlreiche Industrievertreter – etwa vom US-amerikanischen Halbleiterhersteller GLOBALFOUNDRIES Inc. und von der Infineon Technologies AG aus Regensburg sowie etliche Vertreter von Wissenschaftseinrichtungen, Hochschulen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, den Landesministerien für Wirtschaft und Verkehr, vom VDI-Verein Deutscher Ingenieure und VDE-Verband der Elektrotechnik und Elektronik – und, und, und.

Alejandro Vukotich, Leiter Entwicklung Fahrassistenzsysteme, und Berthold Hellenthal, Leiter Progressive SemiConductor Programm (beide Audi AG) stellten nach ihren Vorträgen der Öffentlichkeit erstmalig in einer Live-Präsentation ein noch in der Entwicklung befindliches  Fahrassistenzsystem von Audi im Hof der Leopoldina vor. Der komplett mit Sensor- und Steuerungselektronik ausgestattete Audi A8 chauffierte dann – wie von Geisterhand gesteuert  – den Wissenschaftsminister Hartmut Möllring mit Leopoldina-Präsident Prof. Dr. Jörg Hacker durch den Hof der Leopoldina. Später drehten auch noch Prof. Peter Gumbsch, Institutsleiter des Fraunhofer IWM aus Freiburg, sowie Prof. Dr. Matthias Petzold ein paar Runden.

Dr. Hartmut Möllring

Bitte Einsteigen – und das ganz ohne Chauffeur. Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Hartmut Möllring probierte als erster das Audi-Versuchsfahrzeug aus. Foto: Trendblende

Später drehten auch noch Prof. Peter Gumbsch, Institutsleiter des Fraunhofer-IWM aus Freiburg (hinten links), sowie Prof. Dr. Matthias Petzold (hinten rechts) ein paar Runden mit dem selbst fahrenden Prototypen.
Foto: Trendblende

Audi-Entwicklungsleiter ist vom 1. NanoMikro-Forum angetan

„Mobilität treibt uns alle um“, erklärte Audi-Experte Alejandro Vukotich. Und doch gibt es zahlreiche Hürden. „Die Vorstellung, dass das Fahrzeug allein fährt, wirkt auch für mich befremdlich. Ich identifiziere mich zu 100 Prozent mit meinem Auto und mit meinen Fahrfähigkeiten“, so der 44-Jährige. Deswegen reagierten viele Leute logischerweise zunächst skeptisch bis sogar ablehnend. „Doch uns geht es nicht darum, ihnen die Fahrfreude zu rauben, sondern die Straße sicherer zu machen.“

Für den Fahrer, so Vukotich, solle die pilotierte Option lediglich ein Zusatzangebot sein. Wie ein Flugzeugkapitän könne jeder selbst entscheiden, wann er den Autopilot einsetze. Und die Umsetzung ist keine Zukunftsmusik. „Wir werden sukzessive neue pilotierte Funktionen vorstellen. Als Erstes kommen der Park- und der Staupilot“, kündigte der Ingenieur an, der die Realisierung des Ganzen im Zeitfenster von zwei Jahren für realistisch hält. „Eine Vielzahl von Assistenzsystemen, der erste Schritt hin zum selbstständig fahrenden Auto, ist schon heute in Oberklasseautos eingebaut. Sie helfen beim Spur- und Abstandhalten, beim Bremsen oder den toten Winkel zu überblicken. Wer heute solche assistierten Fahrsysteme erlebt, der wird das pilotierte Fahren nicht mehr als den Quantensprung wahrnehmen“, prophezeite Vukotich, der vom NanoMikro-Forum sehr angetan war. Das Thema Technologietransfer liege ihm sehr am Herzen. „Der eigentliche Mehrwert entsteht nicht durch das Wissen,  das einzelne Forschungseinrichtungen, Firmen oder Menschen in sich tragen. Der große Wurf gelingt erst dann, wenn wir dieses Wissen miteinander verlinken“, betonte der Entwicklungsleiter für Fahrassistenzsysteme bei Audi, der zum  ersten Mal die Saalestadt besuchte.

Alejandro Vukotich, Leiter Entwicklung Fahrassistenzsysteme (rechts), und Berthold Hellenthal, Leiter Progressive SemiConductor Programm (beide Audi AG) stellten in einer Präsentation ein noch in der Entwicklung befindliches Fahrassistenz-system von Audi vor.
Foto: Trendblende

Zum Gelingen des 1. NanoMikro-Forums hatten sowohl das Fraunhofer IWM als auch die Leopoldina beigetragen. „Unser Anliegen ist es, jeher unterschiedliche Wissenschaftsrichtungen zusammenzubringen“, sagte Prof. Dr. Jörg Hacker. Das im Forum gewählte Thema „NanoMikro“ stehe als aktuelle technische Herausforderung zur Diskussion. Zur Diskussion deshalb, weil hinter diesen neuen und phantastischen Technologien – man denke eben an das autonome Fahren – sich jede Menge neuer Probleme versteckten, die sozialwissenschaftlich, ethisch und juristisch beantwortet werden müssen. Das mache so ein Forum auch so spannend – zumal mit der Audi AG  auch unmittelbar ein Unternehmen als Premiere am wissenschaftlichen Diskurs teilnahm.  „Man darf nichts isoliert betrachten. Ein Vorteil der Akademie ist es, dass Mitglieder aus allen Bereichen der Wissenschaft kommen und für solche Art der Diskussionen bestens gerüstet sind,“ erklärt Prof. Hacker. Das zeigte sich auch in der von Moderator Carsten Dufner (Mitteldeutscher Rundfunk) geleiteten Abschlussdiskussion zum Thema „Der Chip am Steuer – Autonomes Fahren und  Akzeptanz“, wo es in angeregter und lebendiger Runde um Probleme ging, die heute wohl noch keiner erahnen kann. Etwa, wenn es sich die Frage stellt, wer die strafrechtliche Verantwortung und Haftung bei einem Unfall trägt, wenn der „Chip“ mal wieder hinterm Lenkrad saß.

 Mit NanoMikro-Dialogen und NanoMikro-Speed-Dating ins Gespräch kommen

„Mikro- und Nanotechnologie sind selbst heute immer noch abstrakte Begriffe“, schätzt  Matthias  Petzold ein, der den Bogen zum zweiten Veranstaltungstag im Fraunhofer IWM spannt. Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters und damit dermaßen unanschaulich. In der Nanotechnologie finden nahezu alle wissenschaftlichen Bereiche zusammen: Chemie, Physik,  Biologie und Nanoelektronik. Obwohl es einerseits einen gewissen Hype um das wissenschaftliche Thema der Nanotechnologie gibt, sind die Anwendungsmöglichkeiten längst nicht ausgeschöpft.

So war Tag zwei vor allem den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des NanoMikro-Forums gewidmet, die mit den verschiedensten Unternehmens- und Forschungseinrichtungsvertretern ins konkrete Gespräch kommen sollten und die Möglichkeit erhielten, ihr Portfolio in den anberaumten NanoMikro-Dialogen zu präsentieren.  „Einerseits geht es  immer noch ums Kennenlernen und ums Vertiefen der partnerschaftlichen Vernetzung. Aber eben auch um die praktische Demonstration dessen, was hier am Standort Halle in diesem Bereich passiert“, sagte Petzold. „Wir haben in Sachsen-Anhalt eine  Reihe von Herstellern, die im Bereich der Automobilelektronik-Zulieferindustrie tätig sind, ebenso aber auch Firmen, die Mikro- und Nano-Strukturen mit ihren Diagnostikverfahren sichtbar und  beherrschbar machen können“, sagt der 61-Jährige. „All den Beteiligten wollen wir ein Forum, ein Podium geben, um sichtbarer zu werden. Zudem dürfen wir nicht nachlassen, wenn es darum geht, die Vernetzung mit den wissenschaftlichen Einrichtungen voranzutreiben.“ Das betreffe Universitäten wie die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, aber auch die Fachhochschulen der Region sowie weitere wissensbasierte Akteure.

Prof. Dr. Matthias Petzold (links) begrüßte am zweiten Tag die Teilnehmerinnen und Teilnehmern des NanoMikro-Forums, die mit den verschiedensten Unternehmens- und Forschungseinrichtungs-Vertretern ins Gespräch kamen.
Foto: Trendblende

Als eine besonders „schnelle“ Aktion erwies sich das NanoMikro-Speed-Dating. Bei einem geführten Kurztrip konnten die Foren-Teilnehmer ausgewählte wissenschaftlichen Einrichtungen am Wissenschafts-Campus Heide-Süd durchlaufen, Abstecher in die Labore machen und sich über Forschungsarbeiten informieren. Das Ganze immer mit Blick auf die Uhr. Blitz-Einblicke gab es so auch im Zentrum für Innovationskompetenz ZIK SiLi-nano und an den  Fraunhofer-Standorten Walter-Hülse-Straße und Heideallee. Gleichzeitig konnten sich die Gäste anschauen, was sich in den Laboren von Startups abspielt. Firmen wie die SmartMembranes GmbH öffneten dazu ihre Tür.

Am 15. Dezember findet das nächste NanoMikro-Netzwerktreffen wieder im Kleinen statt. Hier werden neue Pläne für 2016 geschmiedet.

Wer sich der Initiative Netzwerk NanoMikro in Sachsen-Anhalt anschließen möchte, findet weitere Informationen unter www.nanomikro.com.